Tausend Rubel

„Was hast du denn da?“, fragte Christoph, als Ilka ihn endlich wieder eingeholt hatte. Er wies mit dem Kinn auf den Strauß. „Hast du damit jemanden verprügelt?“

“Den habe ich der alten Frau abgekauft, dahinten vor dem Kaufhaus. Schade. Wenn er dir gefallen hätte, dann hätte ich dich jetzt mit Blumen überhäufen können.“ Ilka lächelte süß, zwinkerte ihm zu. Ein paar hundert Meter weiter warf sie den Strauß an einer Trolleybushaltestelle in den Mülleimer.

„Du Christoph“, sagte Ilka, als sie längst vom Newskij Prospekt abgebogen und beinahe an ihrer nächsten Sehenswürdigkeit angekommen waren. „Ich habe ein schlechtes Gewissen.“

„Wieso das denn?“

„Die alte Frau musste sich bestimmt furchtbar abquälen, um den Strauß zu pflücken. Und dann den ganzen Tag in der Hitze am Straßenrand. Und was mache ich? Ich schmeiße ihn einfach weg.“

„Na und? Davon weiß sie doch nichts. Und wenn schon. Die ist froh, dass du ihr das zerrupfte Kroppzeug abgekauft hast.“

„Das war aber nur ein paar hundert Meter von ihr entfernt. Und der Mülleimer war geflochten, da konnte man alles sehen. Was ist, wenn sie dort den Bus nimmt, um nachhause zu fahren? Sie hat sich so angestrengt, wollte ihr Geld ehrlich verdienen, das ist ihr wichtig, da bin ich mir sicher. Und ich mache sie zur Bettlerin.“

Christoph schüttelte den Kopf.

„Was ist, wenn sie jetzt traurig ist?“

„Dann lauf zurück und hol den Strauß wieder aus dem Mülleimer.“ Er zog die Schultern hoch und seufzte tief. “Ich warte hier.“ Er setzte sich auf eine Bank und holte den Reiseführer aus der Tasche. Ilka drehte sich um und rannte so schnell sie konnte zur Haltestelle.

Als sie ankam, war der Blumenstrauß verschwunden. Ziemlich sicher war er nicht mehr da, man hätte ihn sehen müssen. Ilka musterte die Passanten und die Wartenden, um sicherzustellen, dass sie nicht beobachtet wurde. Dann nahm sie sich ein Herz, hob vorsichtig Flaschen, Eisverpackungen und Stiele, Apfelgriepsche und Fast-Food-Verpackungen an, die die Vorübergehenden achtlos in den Mülleimer geworfen hatten. Sie war entschlossen, den Strauß zu finden. Doch er war nicht mehr da. Definitiv.

So sehr Christoph sich auch bemühte, es sollte ihm den ganzen Abend nicht mehr gelingen, Ilka mit einem anderen Thema abzulenken. Die Vorstellung von Babuschka Margaritas Demütigung an der Trolleybushaltestelle und ihre eigene Schuld daran ließen ihr keine Ruhe.

 

A+ A-
DE