„Curt!“
Der Junge konnte nicht älter als zehn Jahre sein. Flink wie ein Reh lief er in den Wald hinein, umkreiste Büsche und Buchen, sprang schließlich mit einem leichten Satz auf einen Baumstumpf, um besser zu sehen.
„Curt, nun komm doch. Wir spielen ja gar nicht mehr verstecken.“
Schon sprang er wieder herunter, lief im Zickzack um Bäume herum, ließ sich flach auf den Bauch fallen, um unter den Hagebuttensträuchen nachzusehen.
„Es wird bald dunkel. Nun komm doch endlich!“
Schnellte wieder hoch, sprang über den Weg zu den Feldern, die sich vom Waldrand bis ins Tal erstreckten. Aus der Ferne war die Silhouette einer kleinen Stadt mit Kirchturm zu sehen.
Er formte ein Sprachrohr mit seinen Händen.
„Du hast längst gewonnen. Niemand hat dich gefunden. Komm!“
Lief tänzelnd zurück in den Wald. Im Takt seiner Schritte tanzten auf seinen Schultern die blonden Locken. Leuchteten in dem gleichen goldgelben Ton wie die Ähren auf den Feldern:
Ein Geschenk der Spätsommersonne.
Plötzlich blieb er stehen, mitten auf dem Weg. Er lauschte.
Der Hagenbuttenstrauch am Wegesrand war zu Leben erwacht. Seine Zweige bewegten sich, er raschelte, erst schüchtern, dann kräftiger. Ein gedämpfter Laut kam aus seinerm Innern, daher, wo der Stamm sein musste. Unverkennbar. Der Hagebuttenstrauch grunzte. Wie ein Schwein.
Der Junge wich zurück. „Hilfe“, murmelte er.
Der Hagebuttenstrauch rüttelte und schüttelte sich, sein Grunzen wurde immer lauter, immer wütender. Dann teilten sich seine Zweige.
Der Junge rannte in Richtung der Felder, dicht gefolgt von dem Grunzen, er rannte schneller, immer schneller, so schnell ihn seine Beine trugen. Er lief um sein Leben.
Doch dem Grunzen entkam er nicht.
Als er gerade den grasbewachsenen Weg zwischen den Feldern erreicht hatte, warf das Grunzen ihn zu Boden. Mit einem heftigen Stoß.
Der Junge blieb bäuchlings liegen, schützte den Kopf mit seinen Händen.
„Willy.“ Was auf ihm lag war merkwürdig weich und leicht, sein Flüstern fast zärtlich. Vertraut. Es atmete im gleichen Takt wie Wilhelm. Er hob den Kopf, versuchte nach hinten zu blicken. Schwarzes, borstiges Haar kratzte sein Gesicht.
„Curt.“
Wilhelm ließ seinen Kopf ins Gras fallen, streckte seine Glieder von sich, atmete tief durch. Als er genug Kraft gesammelt hatte, warf er die unerwartet leichte Last ab. Sein Ohr war heiß vom Atem des Freundes. Heiß und rot.
Der Junge mit den schwarzen Eberborsten auf dem Kopf kugelte sich durch das Gras, blieb auf dem Rücken liegen, blinzelte in die Spätsommersonne und lachte.
„Na warte“, rief Wilhelm.
Lachte auch, als Wilhelm sich auf ihn stürzte, empfing ihn mit offenen Armen, umschlang ihn und rollte sich wieder nach oben, ließ es geschehen, als Wilhelm ihn erneut nach unten zwang, ohne sich aus Curts Umarmung zu befreien. Er lachte und rollte, rollte und lachte, mit Wilhelm im Arm, bis auch der nicht anders konnte, als beim Rollen zu lachen.
Heu und Gräser verfingen sich in ihren Haaren, piekten in ihre Beine, die Arme, den Rücken, den Bauch. Wiesenblumen kitzelten ihre Nasen. Curt nieste und sie lachten, bis ihnen die Tränen kamen.
Sie rollten hinunter bis ins Tal.
Unten angekommen blieben sie in den hohen Wiesengräsern liegen. Wilhelm auf dem Bauch und Curt auf dem Rücken. Zwei Schmetterlinge tanzten über Wilhelms schwarzem, borstigen Haar.
Wildschweinschmetterlingsjunge.
Immer wieder unterbrach unterdrücktes Lachen den schweren Atem der Jungen.
„Wie ein Schwein.“ Wilhelm prustete, konnte nicht mehr weitersprechen, erstickte fast an seinem Lachen.
„Ich hätte nie gedacht, dass du das bist. Wie machst du das nur?“
Curt blickte in den Himmel. Die Wolken leuchteten rot und orange.
„Ich höre zu“, sagte er.