Unser Handwerk ist verdorben.
Der Steinhaufen könnte es nicht besser symbolisieren, auf dem ich hier sitze. Wie ein Vollidiot. Speer in der einen Hand, Lanze in der anderen und natürlich die Rüstung, die Rüstung hätte ich beinahe vergessen. Ich sitze im rostigen Eisenkleid auf den Trümmern meiner einstigen Burg.
Nicht dass ich vorgehabt hätte, sie zu verteidigen. Wie denn? Die Welfen haben alle umliegenden Städte gegen uns aufgebracht, ausnahmslos. Für ein Scharmützel um ein paar Zipfelchen Land, die sie selbst wahrscheinlich im Leben nicht zu Gesicht bekommen haben. Diese Herren bewegen sich für gewöhnlich in anderen Dimensionen, wir sprechen von einem der reichsten und mächtigsten Adelsgeschlechter im Lande, was sage ich, im ganzen Reich gibt es kaum jemanden, der es mit ihnen aufnehmen kann. Uns hätten diese paar Felder genügt, um aus unserer kleinen, zerstückelten Grafschaft ein geschlossenes Gebiet zu zaubern, dann hätten wir unser Auskommen gehabt, unsere Ruhe. Doch wenn es um den Besitz geht, geht es ums Prinzip, um die Fundamente von Macht und Reichtum, da lassen die Herrschenden nicht mit sich spaßen. Je mehr man hat, umso schwerer fällt es zu teilen.
Und hätten sich Ritter aus dem gesamten Lande geschlossen hinter uns gestellt, wir hätten die Berge an Gulden nicht aufhalten können, ach was sage ich, das Guldenhochgebirge, Guldenalpen buchstäblich, die gegen uns angetreten sind. Ja, ganz richtig Gulden. Ritterliche Dienste gegen einen ordentlichen, soliden Lehnspfand, Treue auf Dauer und Gegenseitigkeit, das war einmal. Heute sucht man sich Städte mit neureichen Handelsleuten und Zünften als Verbündete, dann kauft man sich sein Heer mit Klimpergeld zusammen. Zwei Heller für ein Brot, vier Heller für ein Huhn, zehn Schilling Heller für ein Säckchen Pfeffer und zweihundert Gulden für einen Söldner, der einem missliebig gewordenen Ritter den Garaus macht und anschließend seine Burg schleift. So sieht das Kriegsgewerbe heute aus.
Viel günstiger, viel flexibler einsetzbar und vor allem absetzbar als ein Ritter, dem man erst mühevoll Land übertragen muss, von dem ganze Gewese drumherum um Treue und Ehre mal ganz zu schweigen. Die Scherereien, wenn man das Land für etwas anderes braucht, ohne Kämpfe, ohne Fehde ist da meistens nichts zu machen. Der Ärger, den man damit hat! Nein, nein, einen Krieger, den kauft man sich heute kurzfristig auf dem Marktplatz, in der Stadt, wie ein Stück oder zwei Kohlköpfe. Den kann man wenigstens genauso leicht wieder loswerden, wie man ihn angeheuert hat.
Irgendwann werden sie sehen, wie sich das auf die Beständigkeit ihrer Macht auswirkt. Wenn sie feststellen müssen, dass ihre Söldner am nächsten Morgen Kriegsdienste und Treue an den Nächstbesten weiterverkaufen und warum nicht an den Feind? Nur an den schnellen Taler zu denken, an die nächste Völlerei, daran, wie ich heute die größten Pfründe für mich herausschlage aus den ererbten Ländereien, das rächt sich eines Tages. Aber sie sind unfähig, das zu sehen. Völlig zwecklos, sich den Mund fusselig zu reden. Warum sag ich Ihnen das überhaupt?
Nach zwei vernichtenden Niederlagen haben wir alleine gekämpft. Oder vielmehr haben wir uns alleine ergeben, da gab es nicht mehr viel zu kämpfen.
Ich weiß nicht einmal, wo mein Bruder hin ist. Einfach in den Wald verschwunden, als sie fertig waren mit unserer Burg, vernichtet, geschleift, abgetragen, bis nur noch das bisschen Geröll blieb, auf dem ich es mir hier jetzt gemütlich mache. Mit hängendem Kopf ist er vondannen, sein Schwert hinter sich herziehend, hat es einfach über den Boden schleifen lassen, wie ein Hund seinen eingezogenen Schwanz.
Vielleicht will er Pilze sammeln gehen. Von irgendetwas müssen wir uns jetzt ja ernähren, ohne Burg. Vielleicht will er auch im Deister ein Waldbächlein mit seinen Tränen füllen, das wär‘ ein schönes Motiv für einen Minnegesang. Ich verstehe es ja, danach ist mir jetzt auch, wenn ich das nötige Pathos und die Poesie dafür besäße, wäre ich dabei. Aber ich bin, wer ich bin, und darum sitze ich hier auf einem Trümmerhaufen, der einmal meine Burg war, und schimpfe mit schrillerer Stimme als eine Marktschreierin. Jeder hat seinen Platz, irgendwo. Die einen machen es sich auf kostbaren, reich verzierten Kissen gemütlich, die anderen sitzen im Kalten, auf hartem Stein.