An uns ist die Zeit vorbeigegangen, jeder versucht einsam, sich an seine kleine Existenz zu klammern. Aber da ist nichts mehr zu retten. Für ritterliche Bündnisse ist kein Platz mehr in unserer schnellen, neuen Klimpertalerwelt.
Sicher, sicher, sie besingen uns immer noch, in den schönsten Versen. Unseren Mut, den Edelmut besonders, unsere Treue, Abenteuerlust, Barmherzigkeit gegenüber Witwen und Waisen. Wir sind das Männerideal unserer Zeit, überholt zwar, eigentlich, aber mit Wein, Weib und Gesang im Hintergrund entsinnt man sich unserer gerne. Die guten alten Zeiten, als es noch Werte gab, immer passend für ein romantisches Liedchen, abends und an Festtagen, wenn der Taler gerade nicht rollt, die Geschäfte ruhen, Lindenblätter, die Nachtigall, tirrillillilli und tandaradei. Früher war alles besser. Heldentum, siegreiche Kämpfe gegen den schwarzen Ritter, der sein Visier nicht hebt, gegen das Böse, feuerspeiende Drachen, was weiß denn ich, Liebe und Reichtum und ewiges Glück als Lohn. Dass ich nicht lache!
Was für eine Plackerei das ist, sich als Ritter durchzuschlagen, darüber singen sie nichts. Auf Gedeih und Verderb auf die Gunst eines Lehnsherrn angewiesen, irgendeinen Herzog, Fürsten oder König, der einem einen Brocken Land hinwirft, das nicht zum Leben reicht und nicht zum Sterben. Als Dank kämpfen wir mutig und unerschrocken seine Kämpfe, seine Fehden mit seinen Nachbarn, Erbfolge hier, das Gebiet gehört mir, nein mir, nein mir, seine Kreuzzüge, damit er seiner Pflicht dem Kaiser gegenüber Genüge tun kann, vielleicht noch ein kleines Fürstentum im Orient dazu gefällig? Ländereien, auf denen Früchte wachsen, für die man auf den heimatlichen Märkten viele, viele Gulden bekommt? Schmuck aus fernen Ländern? Was immer dem einfällt, wir müssen bereitstehen, Lanze bei Fuß, ergeben und treu. Damit er uns das bisschen Land, für das wir unseren gesamten Mut, unsere Kraft, unseren Kampfgeist und zur Not auch unser Leben hergeben, nicht am Ende noch wegnimmt, aus einer Laune heraus.
Und dann der Aufwand! Die Lanze, der Morgenstern, das Schwert und diese lächerlich klappernde Rüstung, glauben Sie vielleicht, das gibt es umsonst? Das geben sie einem so mit dazu, um uns die Lage zu versetzen, unseren Dienst ordentlich zu verrichten, ohne Waffen geht es ja gar nicht? Das würde denen doch im Leben nicht einfallen, unsere Ausrüstung, unsere Arbeitskleidung, darum müssen wir uns schon selbst kümmern. Und was glauben Sie, was das kostet?
Als wenn das nicht genug wäre, hindert einen diese verfluchte Rostrüstung auch noch regelrecht am Leben. Ja ganz recht!
Wenn man zufällig doch einmal zu einem der ganz großen Festgelage eingeladen wird, irgendeiner maßlos übertriebenen Prinzenhochzeit, oder einem Ritterschlag für verzogene Königssöhne, finanziert mit dem Schweiß und dem Blut des Volkes, das seine Abgaben an den Herrscher verdoppeln musste, damit die Edelleute völlen können, zusammen mit handverlesenen Vasallen, wahrscheinlich ist man auf der Gästeliste, um dem Festturnier ein bisschen Schwung zu verleihen, damit sich die Herren und Damen Hochzeitsgäste nicht langweilen, oder um die Burgfräuleins zu umgarnen, sonst geben die sich womöglich keine Mühe mehr mit ihrer Garderobe, und die Minnesänger haben nichts mehr, was sie besingen können, zwischen tirillillilli und tandaradei.
Wenn man also endlich mal an so einer prachtvollen Festtafel sitzt, wo alles, wirklich alles serviert wird, was man sich je erträumt hat, nicht der immer gleiche Kohl, Karotten oder Huhn, das man schon nicht mehr riechen kann, nein alle Herrlichkeiten der Wälder, Fasan, Reh, Hase, Bär, Köstlichkeiten der Lüfte und des Wassers, Taube, Lachs, Forelle, Gewürze aus fernen Ländern, von denen man noch nicht einmal etwas ahnte, geschweige denn zu träumen wagte, wenn man also endlich dort sitzt, beinahe ohnmächtig von den köstlichen Gerüchen, die einen umfluten, langsam in die Nase aufsteigen, sich auf die Zunge legen, wenn man nicht mehr an sich halten kann vor Appetit, sich einfach darauf stürzen möchte, auf die Pracht, am liebsten mit beiden Händen, dann darf man nicht.
Man kann nicht den Wildschweinbraten verschlingen, wie man gerne wollte, und auch den erlesenen Rotwein aus welschen Landen darf man sich nicht in Strömen die Kehle hinunterfließen lassen, bis man trunken und satt in einen tiefen Schlaf fällt, am besten gleich neben der Tafel, damit man das Festmahl fortsetzen kann, sobald man erwacht. Nein man darf nicht. Sonst wird man womöglich zu dick, passt nicht mehr in das alte Rosteisen, das den alt und steif gewordenen Körper bei Turnieren und Kriegen schützen soll, damit er nicht bei der ersten Gelegenheit aufgespießt wird. Und wie stünde man dann da, als Ritter, der nicht mehr in seine Rüstung passt? Kraft und Schnelligkeit verliert man auch von zu viel Wild und Wein, und wie soll man beim Turnier glänzen, ohne? Wie soll man lebend durch Fehden und Kreuzzüge kommen?
Also höchstens ein Stück Wildschweinbraten, mittelgroß, besser noch klein, nur mal eben probieren, mehr nicht, und dann die prall gefüllten Silberplatten weiterreichen, die Nase öffnen für den Fasanenduft, den Hasen, den Pfeffer, aber nur nicht den Mund, erlesenen Wein aus dem Burgund riechen, daran nippen, nicht mehr, träumen, dass man Lehnsherr und nicht Diener wäre, dass man pfeifen könnte auf Ritterrüstung, Kraft und Schnelligkeit, weil andere für einen auf Roggen- und Schlachtfeldern schwitzen und sterben, an sich vorbeigehen lassen, die prall gefüllten Silberplatten, lachen, laut und röhrend, leutselig sein, sonst laden sie einen womöglich nicht mehr ein, und man darf nicht einmal mehr riechen, nie mehr Träume zum Greifen nahe vor sich haben, immer schön fröhlich sein, lachen, singen, alles weiterreichen, den Fasan, den Hasen auch, den Aal, an den Nachbarn, vielleicht wird der dann dick und schlapp und man selbst glänzt beim Turnier an seiner Stelle. Vielleicht wirft irgendein reiches, vornehmes Edelfräulein ein Auge auf einen, dann sitzt man beim nächsten Mal selbst in der Mitte der Hochzeitstafel, hoch die Tassen, hat ausgesorgt, und die Minnesänger haben wieder Stoff zum zwitschern, tirrillillilli.
Ach bleibt mir doch weg mit euren Ritterchimären!
In meinem Alter, wer will mich da noch haben? Ein Wunder, dass ich mich überhaupt noch auf dem Pferd halten kann. Am meisten regen mich die Jungritter auf, die anscheinend fressen, saufen und feiern können wie sie wollen, die merken nichts. Im Gegenteil, das verleiht ihnen offenbar noch zusätzlich Schwung, das macht sie doppelt stark und schlagkräftig im Zweikampf, noch flinker, noch geschickter, da erwacht ihr Kampfgeist erst so richtig, irgendein Euphorieschub, von dem nur Auserwählte profitieren. Wenn meine Knochen nicht so klapprig wären wie meine Rüstung, dann würde ich die am liebsten auf meiner Lanze aufspießen, ihre Kindergesichter mit meinem Schwert zerschneiden, damit sie endlich Spuren von ein bisschen Leben tragen. Aber was soll ich machen? Ich kann die kaum in Schach halten, wenn sie besoffen und vollgefressen sind.
Jetzt ist es vorbei. Ich brauche niemandem mehr etwas vorzuspielen. Guckt ja noch nicht einmal jemand. Also sitze ich hier, ganz entspannt, in rostiger Rüstung auf einem Geröllhaufen, der einst meine Burg war.
So vergeht der Ruhm der Welt.