Knappe, antreten! Auskleiden! Weg mit der Rüstung, hängt sowieso nur noch an einer Öse. Ich kann das Geklapper nicht mehr ertragen.
Nur ein Witz, das Gesinde, das sie bei den Kämpfen nicht abgeschlachtet haben, ist natürlich ausgeflogen, auf und davon. Oder glauben Sie vielleicht, die harren in aller Ruhe aus, während eine geifernde Meute die Burg ihrer Herrschaft nach allen Regeln der Kunst zerlegt? Halten einem ruinierten Ritter von der traurigen Gestalt die Treue? Die haben sich vermutlich in die Stadt aufgemacht, in die Freiheit. Hätte ich auch getan an deren Stelle, das ist kein Leben als Unfreier. Im Grunde trampeln wir alle aufeinander herum und nur die, die ganz oben sind, Könige, Fürsten, Herzöge, die können treten, ohne selbst einstecken zu müssen.
Die Unbill des Rittertums, die können Sie auch an der Geschichte dieses Geröllhaufens ablesen, auf dem ich hier sitze. Gebaut haben die Burg die Grafen Hallermund, vor Hunderten von Jahren. Sie lebten nicht lange darin, sie haben ihr Gut in Springe und ausreichend Ländereien. Mit der Burg hingegen, hatten sie nie Glück. Immer wieder verpfändet, einmal an den Bischof von Hildesheim, um am ersten Kreuzzug teilzunehmen, natürlich sprang kein Fürstentum im Orient dabei heraus, nur der Tod. Immer Schwierigkeiten, die Burg wieder einzulösen, irgendwann verpfändeten sie sie an die Welfen und sahen sie nie wieder. Man soll sich nie mit jemandem einlassen, der hundertmal stärker ist als man selbst, weder auf Kämpfe, noch auf Geschäfte. Irgendwann haben die Welfen sie uns übertragen, als Lehnspfand. Und nun seht sie euch an.
Nun ja, seien wir ehrlich, das war ein olles, dunkles, modriges Ding. Ist nicht schade drum.
Aber ob nicht doch ein Fläschchen Rotwein aus dem Burgund übriggeblieben ist, danach könnt' ich doch mal gucken. Das wär‘ jetzt was!
Also los, alter Junge, stemm dich noch einmal hoch, ein letztes Mal, mit deiner knarrenden Rüstung, die deine verbrauchten Knochen kaum noch tragen können, schieb die losen Steine hin und her, die traurigen Überreste deiner Burg. Mitgenommen haben sie die jedenfalls nicht, die Flaschen. Diese Bauerntölpel erkennen doch einen Burgunder nicht, wenn sie ihn sehen. Keine Kultur, keine Manieren, haben nie etwas von der Welt gesehen. Die kommen aus ihren Stadtmauern nur hervor, um am nächsten Marktplatz Heller zu scheffeln.
Los, zur Seite den Stein und den Stein und den da auch, hier muss sie gewesen sein, die Vorratskammer mit dem Wein. Nur vorsichtig, alter Junge, nichts überstürzen, Flaschen sind zerbrechlich, ein Jammer wäre das, noch mehr zu zerstören, jetzt, da Frieden und Ruhe Einkehr halten sollen.
Graben, graben, vorsichtig, die Erde abkratzen, Steine beiseite schieben, langsam, langsam, nur nicht von einer Trinklaune zu Hastigkeiten verleiten lassen. Noch ein bisschen Erde wegschieben, das Geröll anheben, ja, was fühle ich da? So glatt, so rund, so wohlgeformt, das kann kein Stein sein. Wusst‘ ich's doch, ach ich wusste es doch, was für eine Freude! Hier sind die Flaschen, hier mussten sie sein, ich lag ganz richtig. Unter Steinen begraben und doch heile, oder was man nach einer wüsten Schlacht ebenso heile nennen kann. Ganz oben am Flaschenhals ein klein wenig angeschlagen, mehr nicht.
Abstauben, nur ein bisschen, der Form halber, so vorsichtig es eben geht, mit den grobschlächtigen Ritterpranken, ein besseres Instrument ist nicht zur Hand. Ah! Meine Teure, deine Pracht spüre ich selbst durch meine Schwielen, meine Schöne, deine Rundungen, meine Anmutige, wie wohlgeformt du bist, umschlingen möcht ich dich, mit beiden Händen fühlen, von oben bis unten, jede einzelne meiner Fingerkuppen verlangt danach, dich zu ertasten, dich zu erkunden, deinen Bauch, die betörende Verjüngung zum Hals hin, zur Öffnung, die Mutter aller Öffnungen, der Ursprung des Lebens, wie leicht du in der Hand liegst, und bist doch prall gefüllt, nichts macht so trunken, benebelt so verführerisch die Sinne wie der blutrote Saft, der aus dieser Öffnung fließt. Wenn ich nur die Lippen an dich legen darf, du Abertausendschöne. Mein Weg ins Paradies!
Vollkommen bist du, meine Zuckertäubchen, und doch muss ich dich köpfen, nimm es mir nicht übel. Ich will nicht nur deinen Körper spüren, ich will dich ganz, trinken will ich dich, aufsaugen, gierig hinunterschlucken, dich direkt in mein Blut fließen lassen, mich an dir berauschen, augenblicklich, ohne Sinn und Verstand. Ritterliche Mäßigung, das war einmal. Ich habe nichts mehr zu verlieren, beneble meine Sinne, du Göttliche!
Mach dir keine Sorgen, meine Täubchen, es geht ganz schnell, ein Schlag mit dem Schwert, schon ist dein Kopf sauber abgetrennt und der Burgunderwein sprudelt, fließt in meine entwöhnte, meine ausgedörrte Kehle. Da, hahahaha, dieser Wohlgeruch. Aaah, wie das schmeckt!
Die paar Flaschen, die ich besitze, hat mir irgendein Fürst oder Herzog im Burgund überlassen, als Dank für Kriegsdienste, Anerkennung für einen besonders eleganten Sieg im Turnier oder vielleicht auch, weil ich so schön gesungen habe, ich erinnere mich nicht mehr.
Das immerhin bringt das Ritterleben mit sich, man kommt herum, Kriege und Kämpfe sind überall zu führen. Weil ich zwar den Reisen, nicht aber dem Gefuchtel mit dem Schwert etwas abgewinnen konnte, versuchte ich mich eine Weile als Troubadour, schön im sonnigen Süden, ein bisschen im Lavendel umherspazieren, von unerreichbarer Liebe trällern, das stellte ich mir schön vor, angenehm. Nur das Pathos fehlte mir, und überhaupt das Talent zum Dichten. Mein Okzitanisch ist nicht schlecht, aber um die Zuhörer mit meinen Versen zum Weinen zu bringen, reicht es nicht. Also gab ich das Singen schweren Herzens wieder auf.
Den guten Wein habe ich natürlich aufgehoben, für einen besonderen Augenblick. Jetzt ist er da! Wenn die erste Flasche so gut war, dann kann die zweite doch nicht verdorben sein. Ich bin mir sicher, ich muss nur ein bisschen Geröll beiseite schieben für deine schöne, schlimme Schwester, dann wird sie sich schon zeigen. Aaaah, hat man eine, hat man sie alle. Da ist sie ja schon! Nur noch köpfen, keine Angst mein Tausendschön, ich bin ganz sanft, ein kurzer, sauberer Hieb, schon fließt der Rebsaft. Endlich ist das Schwert mal zu etwas nutze. Hahahaha!